1996
Hach, die Enya-Dekade. Fast alle Lieder klingen so, als würden sie geheimnisvolle Flüsse in vergessenen Urwäldern besingen. Die restlichen scheinen aus einer New Yorker Jazzbar zu stammen. Der
Schneeweiß-Hedonismus der 80er hat der Grau-Schwarz-Ernüchterung der 90er Platz gemacht. Man ist jetzt cool. Die Haare sind wieder glatt, die Lippen und Fingernägel ziert eisernes Farblos und
Schmuck geht gar nicht. Auf der Bühne sehen wir jetzt Konzernmitarbeiter.
Da sind die flamboyanten Executives einer Werbeagentur:
Die Sachbearbeiter:
Und seht, die Dame mit dem Frühstückstrolley und das Mädchen vom Switchboard sind auch da:
Nur die UK hat das Memo wieder nicht gekriegt und schickte ein Bond-Girl in einem Paco Rabanne Dress:
Eine Subkategorie von 1996 trägt den Titel „Das rote Power-Kostüm“:
2001
hatte sich das Thema Abendkleidung oder Showkostüm erledigt. Man wollte nichts mehr darstellen, sondern blieb sich selbst. Das Motto lautet casual, casual, casual. Das ist praktisch. So reicht
ein Outfit, fürs Gassi gehen mit dem Hund ebenso wie für den Songcontest und ein späteres Candlelight-Dinner.
Hie und da warf man sich noch eine Jacke über und machte Smart Casual daraus.
Das ist das Ende der Anlass-Kleidung. Man ist cool, man steht drüber. Man trägt nur noch den eigenen persönlichen Stil, egal wohin. Die Mode ist ein großer Gleichmacher. Status? Nicht erkennbar.
Berufsgruppe? Egal. Diese Menschen wollen sich nicht zuordnen und nicht einschränken lassen. Das ist der logische Bruch mit den Neunziger-Jahren. Diese Menschen haben die Matrix
verlassen.
Einige Länder hatten das Memo wieder nicht gekriegt. Die Türkei und Deutschland schickten Ken und Barbie direkt aus 1986:
2006
wurde man spielerisch. Die Lieder handeln in irgendeiner Form von Dazu- oder Zusammengehörigkeit, von Gemeinschaft. Man probiert Rollen aus, man spielt mit Verkleidungen, man ironisiert
Gleichschaltung. Willkommen im Jahr der Rollenspiele.
Eine der beliebtesten Rollen dieser Zeit war jene der Stangentänzerin aus einem Vorstadtpuff. Hie und da ergänzt durch gepflegte Zuhälter.
Aber es gab auch andere Rollen, die sehr schön waren:
Wir sehen: Hostessen - auf Kundschaft wartend, Haremsdamen, eine Streetgang und Kosacken, die ihre eigene Stangentänzerin mitbrachten.
Dann haben wir Texaner, Gambler, Schulmädchen - komplett mit eigenem Zuhälter, und natürlich die berühmtesten Rollenspieler dieses Jahres: die Monster aus Finnland.
Es ist, als machten sich diese Menschen über die Matrix lustig, die sie endlich verlassen hatten.
Frankreich und Irland haben das Memo nicht gekriegt und blieben sehr ernsthaft in 1977 resp. 1995 stecken.