Je mehr ich mich abnehmwilligen Menschen beschäftige und austausche, desto mehr werde ich mit der „psychologischen“ Seite des Abnehmens konfrontiert. Dazu gibt es mittlerweile zahllose Artikel
und Publikationen, die im Kern darauf zielen, die Psyche auszutricksen. Man soll seine Esslust entkoppeln von anderen Vorgängen im Leben. Man soll Methoden zur Ablenkung finden, wenn man
Heißhunger verspürt. Man soll andere Wege zu Belohnung finden, als etwas zu naschen. Ein Rat, der vermutlich Schuhgeschäften zugute kommt. In manchen Publikationen geht es bis in die Tiefen
echter Psychoanalyse, wenn man erforschen soll, wie und warum schon in der Kindheit Essen instrumentalisiert wurde, um zu belohnen, zu trösten oder Langeweile zu überbrücken.
Das geschieht sicher vielfach. Ich kann ebenfalls ein Lied davon singen. Süßes war Liebe, Spaß und Zeitüberbrückung in Einem. (Mir bricht das Herz, wenn ich in der Öffentlichkeit immer
öfter sehe, wie mitgeschleppte Kleinkinder mit Kipferln ruhig gestellt werden. Das tut ihnen bestimmt nicht gut, jetzt nicht und wenn sie groß sind, erst recht nicht.)
Jene Menschen, denen solche psychischen Tipps nachhaltig geholfen haben, haben meine besten Wünsche und ich freue mich mit ihnen.
Den meisten Menschen hilft das nicht. Diese Aussage sauge ich mir nicht aus den Fingern, sie entspringt vielen Erzählungen von Klientinnen. Psychotricks helfen in den ersten ein, zwei Wochen für
die ersten zwei, drei Kilo, die man sowieso leicht abnimmt, weil man noch motiviert ist. Dann versagen sie genauso wie Diäten. Ich betone: Es mag Ausnahmen geben. Aber bitte seien Sie nicht
demotiviert oder halten Sie sich nicht für unzulänglich, falls Sie Ihre Psyche nicht erfolgreich ausgetrickst haben und nicht abnehmen. Psyche und Übergewicht haben nur SEHR wenig miteinander zu
tun!
Sondern?? Wo ist der Knackpunkt?
Es gibt drei Arten von Hunger.
Nummer eins: Echter Hunger. Das Verlangen des Körpers nach Energie, Nährstoffen und Baustoffen. Es wird immer wieder vergessen, dass Nahrung diese drei Komponenten liefert. Meist wird Nahrung nur
mit Kalorien, also Energie gleich gesetzt. Doch vergessen wir nicht, dass wir mit der Nahrung auch alle Dinge aufnehmen müssen, die unsere Knochen, Muskeln, Gewebe, Organzellen, Schleimhäute,
Enzyme und Hormone entstehen lassen können. Echter Hunger ist gut. Er bewirkt, dass wir Lust auf echtes Essen haben. Echter Hunger lässt sich hinhalten. Essen dauert noch eine Stunde? Kein
Problem. Echter Hunger bewirkt, dass wir viel essen können. Das ist ebenfalls gut. Gesunde, natürlich schlanke Menschen essen viel.
Nummer zwei: Nahrstoffmangel. Das ist leider in unserer überfütterten Welt weiter verbreitet, als man glauben sollte. Industrualisierte und prozessierte Lebensmittel werden nährstoffärmer und
zugleich essen viele Menschen immer weniger komplett. Stichwort Fast Food und dergleichen. Wer hauptsächlich Kantinenfutter, Fertigpizza und Spaghetti isst, hat garantiert Mangel an einigen
wichtigen Nährstoffen. Der Körper regiert mit Hunger. Er signalisiert Ihrem Bewusstsein: „Iss. Iss mehr. Zuviele Kalorien? Du fühlst Dich schon voll? Ist mir doch wurscht. ISS!“ Sie haben immer
diffuse Esslust, finden kein Ende, plündern des Nachts noch den Eiskasten und haben ständig schlechtes Gewissen, denn Sie spüren, wie sich die überflüssigen Kalorien buchstäblich an die Hüften
legen. Mit Willenskraft lässt sich das überwinden. Sie schaffen es, eine Weile zu widerstehen und die Ess-Signale Ihres Körpers zu negieren. Nur: auf Dauer nutzt sich Willenskraft ab. Irgendwann
ist sie erschöpft und Sie sind es auch. Schlank werden zu wollen, indem man ständig Willenskraft einsetzt, ist Schwerarbeit.
Nummer drei: Unterzucker. Und da ist es wieder - das wichtigste Thema beim Abnehmen: Zucker und Insulin. Es hilft alles nichts: Viele Menschen, besonders jene, die leicht zunehmen, sind
tendenziell oder tatsächlich mehr oder weniger ausgeprägt - da sind die Abstufungen nahtlos - insulinresistent. Das heißt, ihr Körper reagiert nicht so gut auf Insulin. Das heißt, sie brauchen
mehr, haben also nach einer Mahlzeit mehr davon im Blut und haben es auch länger erhöht im Blut. Statt ca. 60 - 90 min, wie es bei insulinsensitiven Leuten der Fall ist, haben wir
insulinresistenten es locker auch 2 - 3 Stunden über dem Nüchternspiegel erhöht. Oder länger. Irgendwann tut das Insulin dann doch, was es soll: es senkt den Blutzucker, der nach dem Essen
logischerweise rauf geht, wieder auf Nüchternzustand runter. Und dann senkt Insulin den Blutzucker noch weiter runter. Warum? Weil es immer noch da ist. Weil es nicht anders kann. Und dann
haben wir Unterzucker. Und dann kriegen wir einen Heißhunger, der sich gewaschen hat. „Essen jetzt sofort und ohne Gnade!“ signalisiert unser Gehirn. „Am besten Zucker oder Mehliges. Sofort!!
Wenn es sein muss, aus der Mülltonne. Hemmungslos und bis zum Platzen!“ Das ist der Zustand, in dem wir Limonade runterschütten, alte Pommes Frittes verschlingen oder Tortenreste sogar
tiefgefroren in uns hineinstopfen. Einem Menschen in diesem Zustand kann man das beste T-Bone Steak vorsetzen, das hilft nicht. Es dauert zu lange, bis damit der Blutzuckerspiegel wieder
angehoben werden kann.
Nicht immer ist der Heißhungerzustand dermaßen drastisch, weil wir normalerweise den Unterzucker nicht zulassen. Aber man erkennt diesen Grundzustand deutlich. Das sind dann Leute, die alle zwei,
drei Stunden Nahrung oder Limo konsumieren und sehr schnell grantig werden, wenn sie 'Hunger' kriegen.
DAS ist der Hunger, der oft als Psychohunger missverstanden wird und wo diverse Tricks anzusetzen versuchen. „Deck Deinen Tisch nett, zelebriere Dein Essen, iss bewusster“ heißt es dann. Oder:
„Löse alte Assoziationen, erfinde ein neues Belohnungssystem.“ heißt es dann.
Funktioniert das? Natürlich nicht. Es kann nicht funktionieren, weil es gegen die Gesetze der Physiologie geht.
Das ist die Art Hunger, die sich wie psychisch bedingte Esslust anfühlt. Ich weiß es, sie fühlt sich wirklich so an: Man glaubt, man isst aus Langeweile, oder aus Frust, aus Stress oder als
Trostbedürfnis. Jeder hat seine Ausreden, warum er zuviel isst. Man spürt ja schließlich, dass man gerade nicht dringend Kalorien braucht. Doch all die Ausreden, die „Erklärungen“, die man sich
gibt, um diesen unerklärlichen Appetit zu erklären, entspringen nur einem Umstand: zu hohem Insulin!
Was tun wir dagegen?
Das ist ein langer Vortrag - kommen Sie zu meinem Seminar! Aber in Wirklichkeit ist es ganz schnell gesagt:
Erstens: Wir essen viel echtes Essen, bis wir satt sind. Wir essen ausreichend Fett, weil es länger satt macht.
Zweitens: Wir essen vielfältig und nahrstoffreich. Das bedeutet auch: wir essen viel Fett. Ein Großteil der Nahrstoff-Unterversorgung entsteht heute, weil wir zuwenig Fett essen, um auch die
fettlöslichen Nahrstoffe aufzunehmen.
Drittens: wir essen wenig Insulinpflichtiges: Das ist vorwiegend Stärke und Zucker. Wir essen so, dass Insulin gar nicht erst viel gebraucht wird.
An dieser Stelle ist die einzige Überschneidung zwischen Essen und Psyche zu notieren:
Es ist der Zucker, der Zucker, der Zucker. Es ist immer der Zucker! Zucker macht süchtig. Zuckersucht ist ein psychischer Zustand, wie jede andere Sucht auch. Wenn Sie viel Süßes essen, essen Sie
auch Psycho-Essen. Man kann Zuckersucht leicht loswerden, viel leichter als Nikotin, Heroin oder Gamblen. Man muss nur mehr Fett und sich immer schön satt essen.
In ein paar Wochen ist der Körper umgestellt:
ein, zwei Mahlzeiten an Tag reichen plötzlich. Wir vergessen für Stunden, dass es Essen überhaupt gibt. Wir würden nicht im Traum auf die Idee kommen, einen Frust mittels Schokolade zu bekämpfen,
weil wir satt sind. Wenn wir uns belohnen wollen, dann gehen wir GUT essen. Wir kennen nur noch eine Art Hunger: Nummer Eins.